Zentrumsleiter begegnen an Podium Vorurteilen gegenüber Asylsuchenden Alexandra Greeff , Südostschweiz Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem Spaziergang oder auf einem Bummel durchs Dorf und drei Männer – sagen wir mal aus Eritrea – kommen Ihnen entgegen. Was geht Ihnen durch den Kopf? Werden Sie ihren Kurs geradeaus beibehalten? Oder wechseln Sie die Strassenseite, um dann doch neugierig zurückzuschauen, was Sie eben verpasst haben? 4.60 Franken Sackgeld pro Tag Marco Badilatti,Vorstandsmitglied von Kultur Amden und Moderator des Podiums vom vergangenen Donnerstag, verstand es, das Publikum mit diesen und anderen pointierten Fragen herauszufordern. Eine Anwohnerin aus Amden, die die beschriebene Situation aus dem Alltag kennt, musste nicht lange überlegen: «Ich grüsse die Männer freundlich», gab sie spontan zur Antwort. Und aus Erfahrung glaubte sie auch zu wissen, wie die Reaktion der drei Männer ausfallen würde: «Sie grüssen ebenso freundlich zurück.» Rund ums Asylzentrum Bergruh in Amden ist Ruhe eingekehrt. «Es gibt keine Probleme», freute sich Stephan Trachsel, Leiter des Asylzentrums. Um dann seine Aussage lachend wieder zu relativieren: «Zumindest nicht gegen aussen.» Doch wie sieht drinnen aus? Rund zwei Drittel der zahlreichen Interessierten, die dem Podium beiwohnten, haben das Asylzentrum schon besucht. «Solche Begegnungen und Gespräche helfen dabei, Vorurteile abzubauen und Empathie füreinander zu entwickeln», ist Trachsel überzeugt. Vorurteile gebe es nämlich viele. Viele Menschen stellten sich vor, dass Asylbewerber mit Luxus überhäuft würden, nicht arbeiten wollten und die ganze Zeit herumhängen würden. Die Realität sehe aber anders aus. Trachsel schilderte, dass die eintretenden Asylsuchenden etwas Zucker, einen Teebeutel, eine Zahnbürste und ein Frottiertuch bekommen, in Mehrbettzimmern schlafen und mit 4.60 Franken pro Tag auskommen müssen. Damit könnten sie zum Beispiel Hygieneartikel, Kleidung oder mit etwas Glück und Planung sonst etwas, das ihnen Freude bereitet, kaufen. In Tagesstruktur eingebunden Friederike Jerger erzählte von ihren Erfahrungen im Asylzentrum Vilters: «Die Flüchtlinge würden gerne etwas tun und sich in die Gesellschaft einbringen. » Sie fragte in die Runde: «Wie viele Menschen wissen, dass Asylsuchende während der ersten drei Monate – bei einem erstinstanzlichen Negativentscheid noch länger – nicht arbeiten dürfen?» Für sie ist klar: «Die Asylsuchenden hängen nicht freiwillig herum.» Auch Vereinsaktivitäten seien ihnen oft verwehrt, da sie oft nur über kurze Zeit an einem Ort bleiben könnten und rasch auf die Gemeinden weiterverteilt würden. Strikt ist auch die Tagesstruktur, die Trachsel dem Publikum am Beispiel Amden unterbreitete. Der Tag im Asylzentrum Bergruh beginnt um acht Uhr mit Frühstück. Danach müssen die Asylbewerber verschiedene «Ämtli» wie Putzen erledigen. Um 9.15 Uhr startet der Unterricht. Für diesen wird laut Trachsel besonders viel Aufwand betrieben, denn es gehe darum, die Menschen so früh wie möglich in die Kultur einzuführen, um längerfristig einen noch grösseren Kostenaufwand zu verhindern. Am Nachmittag folgen verschiedene Projektarbeiten. Erst am Abend könnten die Flüchtlinge frei über ihre Zeit verfügen, die sie dann meistens zur Kommunikation mit Verwandten nutzen. Als Jerger erzählte, dass der Tag im Asylzentrum Vilters schon um 7.30 Uhr beginnt, ging ein fast schon mitleidiges Raunen durchs Publikum. Offenbar war es den Rednern gelungen, Empathie für die Flüchtlinge und ihre persönlichen Geschichten zu wecken. Für die Zukunft wünschen sich die Verantwortlichen noch mehr Möglichkeiten für Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten zwischen Bevölkerung und Asylsuchenden.
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November 2024
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